Themenschwerpunkt

Die Fachtagung „Mensch & Computer 2012“ in Konstanz nimmt die unten dargestellten neuen technologischen Entwicklungen zum Anlass, um unter dem Motto „interaktiv informiert – allgegenwärtig & allumfassend!?“ die Beiträge von Forschern der Fachdisziplin „Mensch-Computer-Interaktion“ vorzustellen und auch kritisch zu diskutieren. Gerade Konstanz mit seiner langen Tradition im Bereich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Information ist dazu in besonderer Weise berufen. So wurde bereits im Jahre 1980 der erste Lehrstuhl für Informationswissenschaft in Deutschland an der Universität Konstanz eingerichtet und 1982 ein Studiengang gleichen Namens etabliert. In weiterer Folge wurde in den 90er Jahren gemeinsam mit der Informatik ein Forschungsschwerpunkt zum Thema „Explorative Analyse und Visualisierung großer Datenräume“ aufgebaut. Eine große Rolle spielten von Anfang an die Forschungsfragen, welche Interaktionstechniken einen effektiven und effizienten Zugang zu den benutzerrelevanten Informationen verschaffen und welche Visualisierungen neue Einsichten in die Inhalte und Zusammenhänge großer Datenräume bieten.

In den letzten Jahren haben sich an verschiedenen Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz Forschungsgruppen gebildet, die zum Themenschwerpunkt dieser Tagung wichtige Beiträge geleistet haben. Sie sind dazu eingeladen, mit ihren Beiträgen den aktuellen Stand der Forschung in diesen Ländern zu präsentieren und mit Kollegen aus der Forschung und Praxis zu diskutieren. Dazu wird im Rahmen von Fachvorträgen, Workshops, Podiumsdiskussionen, Tutorien, Ausstellungen und Demonstrationen vielfältige Gelegenheit bestehen.

Einer guten Tradition folgend wird die Tagung natürlich auch für andere wichtige Forschungsarbeiten aus dem Themengebiet „Mensch & Computer“ offen sein und den Forschern und Praktikern eine interessante Plattform zum Wissensaustausch bieten. Darüber hinaus sollen vor allem thematisch verwandte Fachdisziplinen wie die Computergrafik, Visualisierung und Information Retrieval zur aktiven Teilnahme aufgerufen werden, da diese sehr maßgebliche Beiträge zu der oben genannten Entwicklung geleistet haben.

Neue technologische Entwicklungen

Digital Natives

Die Gewohnheiten, uns zu informieren, und die Art und Weise, wie wir Entscheidungen fällen, haben sich unter dem Einfluss neuer Computertechnologien in den letzten Jahren drastisch verändert. Die heute heranwachsende „Twitter- und Facebook-Generation“ – oft auch als „Digital Natives“ bezeichnet – hat ein völlig neues Verständnis des interaktiven Umgangs mit digitalen Informationen entwickelt. Einerseits haben Suchmaschinen wie Google das Rechercheverhalten dramatisch verändert: Nur was über eine Suchmaschine auffindbar ist, ist in der Wahrnehmung vieler (junger) Zeitgenossen als Information noch existent. Andererseits kann potenziell jedermann zum Anwachsen der weltweit verfügbaren und über Suchmaschinen recherchierbaren Informationen beitragen. Nicht nur über Twitter-, Blog-, Facebook- oder Wiki-Einträge schwillt der Strom digital verfügbarer Informationen ununterbrochen an. Gerade in den letzten Jahren haben Katastrophen (z.B. Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tsunami, Krisen von Kernreaktoren), dramatische politische Entwicklungen (z.B. revolutionäre Aufstände), aber auch Plagiatsjäger in der Wissenschaft (z.B. „Guttenplag Wiki“) eindrucksvoll gezeigt, mit welcher Effizienz Informationen auf technischem Wege verbreitet werden können und welch weitreichende Effekte die Interaktion mit Informationen erzielen kann.

Allgegenwärtige Informationswelten

Unabhängig von Ort und Zeit können wir uns heute mittels einer immer differenzierter werdenden Art von interaktiven Geräten Zugang zu den Inhalten großer digitaler „Informationswelten“ verschaffen. Beispiele für derartige Informationswelten sind das Web mit seiner Fülle an sehr heterogenen Informationen oder umfangreichen Online-Produktkatalogen, digitale Bibliotheken zu ausgewählten Themengebieten wie Finanzdaten, naturwissenschaftlichen Beobachtungsdaten, demografischen oder geografischen Daten, aber auch unsere uns stetig begleitende „Personal Cloud”.

Innovative Entwicklungen

Die Vielfalt an interaktiven Geräten, die uns einen Zugriff auf digitale Informationswelten erlauben, und die Konzepte der Interaktion zwischen Mensch und Technologie wachsen beständig: ob dies das mobile Smartphone ist, das uns unterwegs den Zugriff auf Informationen ermöglicht, oder der schicke und ultraleichte Tablet-PC, dessen Touchscreen unsere Gestensprache versteht. Berührungsempfindliche Tische und Wanddisplays eröffnen uns in Bibliotheken, Museen oder Messen Zugang zu digitalen Inhalten und bieten uns dabei gleichzeitig ganz neue Formen des Miteinanders beim Erkunden dieser digitalen Informationswelten. Schließlich ermöglichen uns große hochauflösende Wanddisplays in Kombination mit Tabletops und mobilen Endgeräten in Leitständen oder Forschungs- beziehungsweise Konstruktionslabors einerseits eine neue Fülle der Informationsdarstellung, andererseits eine völlig neue Qualität beim gemeinsamen Erkunden und Interpretieren der gebotenen Inhalte.

Veränderungen von Alltag und Beruf

Diese Entwicklung hat nicht nur umfassende Auswirkungen auf unseren privaten Umgang mit Information, auch der Berufsalltag hat sich unter den beschriebenen technologischen Entwicklungen stark verändert. Die Vielzahl an interaktiven und vernetzten Geräten ermöglicht auch im beruflichen Umfeld ein allgegenwärtiges Interagieren mit Information. Egal ob im Büro oder zuhause, auf Dienstreise oder auf dem Weg zur Arbeit, die allgegenwärtige Verfügbarkeit an beruflicher Information verändert unser Kommunikationsverhalten und die Art und Weise, wie wir Entscheidungen treffen. Als moderner Bewohner einer Vielzahl von digitalen Informationswelten hat man gelernt, sich jederzeit über eine Reihe von digitalen Kanälen zu informieren und diese Informationen in seine Beurteilung von Personen und Sachverhalten einfließen zu lassen. Wir beurteilen die Eignung dieser Informationstechnologien vor allem nach der Qualität der Interaktion mit ihnen. „Intuitiv – schnell – freudvoll“ lauten die Eigenschaften, die häufig über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Beiträge der Mensch-Computer Interaktion

Die technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen der Informatik haben zu der oben beschriebenen Entwicklung einen vielfältigen und maßgeblichen Beitrag geleistet. Dass ein allgegenwärtiger interaktiver Zugriff auf große und komplexe Informationswelten für viele – auch technisch wenig affine Menschen – einfach und komfortabel möglich wurde, ist auch ein wesentlicher Verdienst der Fachdisziplin „Mensch-Computer-Interaktion“.

Interaktive Systeme – ob als kleines mobiles Gerät, ob als großer interaktiver Tisch oder gar als Wanddisplay – folgen innovativen Interaktionskonzepten, die ganz neuen Benutzergruppen den Zugang zu Informationswelten eröffnen:

…beispielsweise realitätsbasierte Benutzerschnittstellen, die unsere Erfahrungen aus der Interaktion mit Gegenständen des Alltags auf die Interaktion mit berührungsempfindlichen Displays übertragen.

…oder neue Formen der Informationspräsentation mit zoombaren Informationslandschaften, die einem strikten objekt-orientierten Paradigma folgen und in der Granularität der Informationsdarstellung sowie bei der angebotenen Funktionalität auf die benutzerspezifischen Bedürfnisse Rücksicht nehmen können.

…oder vielfältige neue Eingabemodalitäten und Eingabegeräte wie beispielsweise 2D-Gesten für berührungsempfindliche Displays, 3D-Gesten für die freie Interaktion im Raum, digitale Stifte in Kombination mit Displays oder Papier oder Spracheingabe. All diese Eingabemodalitäten können – jeweils in Abhängigkeit vom konkreten Benutzer und dessen Aufgabenkontext – alternativ oder in Kombination genutzt werden.

…oder die Entwicklung von neuen Visualisierungen, die in der Lage sind, neben real-weltlichen 2D- und 3D-Objekten auch abstrakte Informationen auf vielfältige Art darzustellen. Damit werden völlig neue Einsichten in die oft sehr komplexen Zusammenhänge und Inhalte der Informationswelten möglich. Dies hat gerade für Entscheidungsprozesse vielfältige Implikationen.

…oder Software Frameworks, die in der Lage sind, eine Vielzahl von oft sehr großen stationären und auch mobilen Displays gleichzeitig zu bespielen und in Echtzeit vielfältige Informationsdarstellungen zu ermöglichen. Derartige Multidisplay-Settings bieten den Benutzern neben der schieren Größe zur Darstellung vieler Informationen auch die Möglichkeit, Inhalte auf verschiedenartige Weise zu vergleichen.

Neben der Einzelnutzung spielt dabei heute vor allem auch die kooperative Nutzung von Informationen eine immer bedeutsamere Rolle. Vom Einsatzleitstand zur Überwachung von Kraftwerken oder Verkehrszentralen bis hin zu gemeinsamen Recherchen in digitalen Bibliotheken oder Produktkatalogen entstehen immer mehr Anwendungsszenarien, bei denen mehrere Benutzer gleichberechtigt interagieren, kooperieren und entscheiden wollen oder müssen.